Abenteuer pur: Auf den Spuren des Polarforschers Ernest Shackleton stösst die Antarktisexpedition von Kontiki Reisen in eine unbekannte Welt vor. Das Ehepaar Yvonne und Urs Rüegg begegnet Pinguinen, Albatrossen, Robben, See-Elefanten und Walen vor einer atemberaubenden Naturkulisse.
Stefan Doppmann
freier JournalistAm Norden fasziniert den freien Journalisten Stefan Doppmann das Licht: Wie die Sonne im Zusammenspiel mit Wolken und Wasser zu jeder Jahreszeit immer neue zauberhafte Farben, Bilder und Stimmungen erzeugt.
Was für ein Moment!
Die MS Fram legt ab und verlässt gemächlich den Pier von Ushuaia im äussersten Süden Argentiniens. Die Expedition in die Antarktis beginnt! Mit an Bord: Yvonne und Urs Rüegg aus Uster. Sie waren mit der MS Fram bereits einmal in Grönland und freuen sich jetzt auf das Abenteuer am südlichen Ende der Welt. Nach eineinhalb Tagen Fahrt sind die Falklandinseln das erste Ziel. Und schon beim ersten Landgang auf New Island im Westen der Inselgruppe taucht eine Kolonie von Felsenpinguinen auf. So witzig die Tiere mit ihren wild abstehenden Kopffedern auch aussehen, so diszipliniert befolgen die Expeditionsteilnehmer die Vorschrift, mindestens fünf Meter Distanz zu wahren. «Doch wenn man lange genug geduldig still steht, tapsen die Pinguine neugierig heran und picken vorwitzig in die Schuhe», erzählt Yvonne Rüegg mit einem Schmunzeln. Zwei Tage später erreicht die MS Fram Südgeorgien, Lebensraum hunderttausender Pinguine, grosser Robben (auch Seebären genannt) und See-Elefanten.
Der strenge Geruch ist Vorbote
Erst sind sie nur zu riechen: Auf der Fahrt mit den wendigen Polarcirkel-Booten ans Ufer liegt ein strenger Duft in der Luft. Und tatsächlich bevölkern dampfende Robbenkörper dicht nebeneinander gelegen den Strand von Elsehul. Rivalisierende Männchen richten ihren Oberkörper gegeneinander auf und messen grunzend ihre Kräfte. Die Reisenden beobachten das Spektakel aus sicherer Entfernung: Denn die Bisse der Robben sind schmerzhaft und mitunter gefährlich – ein medizinischer Notfall könnte die Fortsetzung der gesamten Expedition gefährden. Hoch über den rangelnden Robben nutzen Albatrosse mit weit ausgebreiteten Flügeln geschickt den Wind für ihren eleganten Segelflug. «Das ist ein atemberaubender Anblick», findet der weit gereiste Urs Rüegg. Doch in Salisbury Plain und in der St. Andrews Bay schlägt die Natur in ihrem wunderbaren Bilderbuch noch ganz andere Seiten auf: Gewaltige Kolonien von Königspinguinen bevölkern ganze Landstriche. Man mag sich gar nicht sattsehen, wie sie sich strecken und rekeln, wie sie watscheln und ins Wasser springen. Zu Zehntausenden bilden sie ein gewaltiges schwarz-weiss-goldenes Wimmelbild. Unterbrochen nur von lang gezogenen, braunen Feldern: Es sind die «Kindergärten», in denen die Jungtiere in ihrem noch braunen, flauschigen Kinderfederkleid eng beieinander stehend ausharren, bis ihre Eltern von der Futtersuche zurückkehren.
Einmal im Leben ins Reich der Pinguine
635 Tage im Eis gefangen
Neben allen eindrücklichen Begegnungen mit Tieren lohnt es sich, auf Südgeorgien auch den Spuren menschlichen Wirkens nachzuforschen. Wer es sich zutraut, geht in Leith Harbour von Bord und wandert in drei bis vier Stunden nach Stromness. Der Weg folgt den Spuren des berühmten Polarforschers Ernest Shackleton. Vor genau 100 Jahren schleppte er sich hier Schritt für Schritt voran – nach einer Odyssee von 635 Tagen und auf der Suche nach Hilfe für seine schiffbrüchigen Kameraden, die in 1500 Kilometer Entfernung auf Elephant Island gestrandet waren. Die Wanderung führt über Schnee-, Schiefer- und Schotterfelder und gibt den Blick frei auf mächtige Gletscherzungen, die sich ins Meer ergiessen. Auf dem menschenleeren Hochplateau kommen Abenteurergefühle auf. Man wird ergriffen von Ehrfurcht vor der übermenschlichen Leistung Shackletons, der vor 100 Jahren wohl kaum ein Auge für die fantastischen landschaftlichen Schönheiten übrig gehabt haben dürfte. Der Besuch von Shackletons Grab später auf dem Friedhof in Grytviken ist für die Expeditionsteilnehmer natürlich Ehrensache. In Grytviken und Stromness trifft man auch auf Überreste der Walfängersiedlungen. In den grossen Stahltanks sammelten die Waljäger das ausgelassene Fett ihrer Beutetiere.
Dem Packeis entgegen
Von Südgeorgien führt die Fahrt an den südlichen Orkney Inseln vorbei Richtung Elephant Island. Schon bald sieht man erste Eisberge am Schiff vorbeigleiten. Die Luft kühlt spürbar ab, schroffe Wetterwechsel eröffnen ein faszinierendes Lichtspiel, das Himmel, Packeis und Wasser einbezieht. Nach Elephant Island werden die Eisberge mächtiger, und man hat das Gefühl, wirklich in der Antarktis angekommen zu sein. Urs Rüegg hat diesen Abschnitt der Fahrt an Deck genossen: «Ich konnte einfach den Blick nicht abwenden, obwohl ich schon längst an den Fingern fror.» Was sind schon klamme Finger gegen das Schauspiel der Wale, die immer wieder auftauchen und Wasserfontänen durch ihr Nasenloch blasen.
Mutprobe in frostigen Fluten
Ein weiterer Höhepunkt erwartet die Reisenden auf Deception Island mit dem Besuch des aktiven Vulkans. Ringförmig zieht sich die Insel um eine Bucht, den einstigen Kratersee. Die Wanderung führt über Schneefelder, die mit dunkler Asche bedeckt sind, an einigen Stellen fühlt sich der Boden sogar warm an. Doch das Wasser ist frostig kalt! Es erfordert Mut, sich in die Fluten zu stürzen und ein Badezertifikat zu verdienen. In Almirante Brown, schon fast am Schluss der Reise, entert die Gruppe endlich das ersehnte antarktische Festland. Mit Schneeschuhen erklimmt man einen Berg, wo es als Kuriosum eine Pinguinstrasse zu bewundern gibt, die sich als braune Spur in den Schnee eingegraben hat. Im Gänsemarsch watscheln die Vögel auf dieser hinauf und hinunter. Wer die Pinguinstrasse überqueren muss, überlässt selbstverständlich den Tieren den Vortritt. Am südlichsten Punkt der Reise zeigt die Antarktis noch einmal ihr schönstes Gesicht. Riesige Eisberge schimmern orange und blau im Licht der spätabends untergehenden Sonne. Zahlreiche Buckelwale defilieren in der Bucht. Einer schwimmt gar unter einem Polarcirkel-Boot durch und beschert damit der Gruppe ein einzigartiges Erlebnis. Nach fast zwei Tagen Überfahrt durch die wilde Drake Passage und nahe am Kap Hoorn vorbei biegt die MS Fram wieder in den Beagle-Kanal Richtung Ushuaia ein. Und nun kommt der Abschied und er fällt schwer. Nebst unvergesslichen Bildern und einzigartigen Erlebnissen hat das Ehepaar Rüegg noch etwas anderes mitgenommen: «Grossen Respekt vor diesem fast unberührten Lebensraum und ein vertieftes Verständnis für die Natur.»