Ob Mittsommer oder Weihnachten, Business-Meeting oder Party, Wochenende oder Montag: Die Sauna gehört in Finnland einfach dazu. Doch warum ist das so? Keijo Taskinen hat die «Grossmacht des Saunierens» ausgiebig erforscht. Ein Gespräch über keusche Nacktheit, geselliges Schweigen und Demokratie – plus eine persönliche Premiere zwischen Feuerofen und Eisloch.
Veröffentlicht: 2021
Franziska Hidber
Redaktorin Nordland-MagazinDer Norden hat das Herz von Franziska Hidber, Redaktorin und Reporterin des Nordland-Magazins, im Sturm erobert. Über dem Polarkreis fühlt sich die «Lapinhulla» (Lapplandverrückte) schon wie daheim.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Der Ofen strahlt eine Wärme ab, die bald unerträglich wird. Das Wasser trifft auf die heissen Steine. Es zischt. Dampf steigt auf. Die Frauen neben mir sind nur noch schemenhaft zu erkennen, ihr Murmeln klingt, als käme es von weit her. Der Dampf sucht sich seinen Weg in meine Poren, bald wärmt er von innen, entspannt die Muskeln. Gleichzeitig schreit jede Faser meines Körpers nach Abkühlung, und da beginnt mein Dilemma. Denn Abkühlung bedeutet: rein ins Eisloch. Inzwischen hat sich der Dampf verzogen, das Feuer knistert im Ofen, die Schweisstropfen rinnen in dünnen Bächen über Arme und Beine. Der Blick aus dem Fenster zeigt den vereisten See in Äkäslompolo, letzte Langläufer ziehen ihre Runden, irgendwo bellt ein Hund. Plötzlich steht die erste Frau auf, greift nach ihrem Handtuch und ruft: «Ich gehe jetzt», bevor sie unter unserem Applaus die Holzsauna verlässt – eine von insgesamt drei Millionen Saunas im Land.
«Wenn die Sauna, der Schnaps und Teer nicht mehr helfen, tötet die Krankheit.»
«Ja, wir haben drei Millionen Saunas und fünf Millionen Saunaexperten », bestätigt Keijo Taskinen mit einem verschmitzten Lächeln in der rund 100-jährigen Kota Elämänluukku weit draussen im Wald von Muonio in Finnisch-Lappland. Gemächlich schiebt er zwei Holzscheite in den Ofen, rückt seine Mütze zurecht. Hier, wo vor 100 Jahren Flösser nächtigten, hat er den ganzen Nachmittag Gäste bedient, heissen Beerensaft ausgeschenkt, Kuchen aufgeschnitten, Rentiersuppe serviert. Keijo beherrscht das Nebeneinander mit finnischer Gelassenheit: Er ist Wildnisbiologe und Guide, Fotograf und Autor, Künstler und Gastgeber. Und «Mister Sauna», aber über diese Bezeichnung lacht er so herzlich, dass sich seine Augenfältchen tief in die Haut graben. Dabei würde das Wort «Experte» vor allem auf ihn zutreffen: Er hat die Leidenschaft seiner Landsleute für sein Buch «Sauna – Wellness auf Finnisch» gründlich erforscht.
Wer hat's erfunden?
«Natürlich die Finnen!», würde man jetzt gerne rufen, aber so einfach ist es nicht. Was man weiss: Die Sauna hat eine uralte Geschichte. Schon in der Nestor-Chronik (dem ältesten Geschichtswerk) wird sie erwähnt. Aber auch in den Sagen der Wikinger. Und im finnischen Nationalepos «Kalevala». Seit der Steinzeit hat die Sauna ihre Form behalten; allerdings entwickelte sie sich von der ursprünglichen Sauna in einer Erdhöhle über die Schwitzhütte zum modernen Saunabad in Haus und Wohnung. Doch jetzt wird es interessant: Im Mittelalter wurden die Saunaöfen in Grossbritannien ebenso kräftig eingeheizt wie in ganz Europa. Dennoch ist Finnland unbestritten die «Grossmacht des Saunierens». Dafür spricht allein der finnische Begriff «Sauna»: Er hat die ganze Welt erobert und wird heute fast überall verwendet.
Wortschatz
Savu – Rauch
Löyly – Aufguss
Kiuas – Saunaofen
Vihtominen – das Schlagen und Klopfen mit Birkenzweigen auf die Haut
Keijo, weshalb sind in Finnland alle Experten in Sachen Sauna?
«Weil hier jede und jeder seit Kindsbeinen in die Sauna geht.»
Aber gewisse Regeln für gutes Saunieren gibt es schon?
«Sehr wenige: Eine Mindesttemperatur von 80 Grad und mehr, Sauberkeit, freundliche Umgangsformen – und vor allem soll es gemütlich und gesellig sein.»
Was fasziniert euch so am Saunieren?
«Für uns bedeutet Sauna die Verbindung zur Natur und zu den eigenen Wurzeln. Ohne Sauna wäre unser Land wohl unbesiedelt geblieben. Heute hat die Sauna eine zentrale gesellschaftliche Funktion: Man kommt zusammen, bespricht Dinge, trinkt gemeinsam ein Bier, entspannt sich.»
Bilder tauchen auf. Wie sich junge Menschen direkt aus der Sauna am See ins Wasser stürzen und im Schein der Mitternachtssonne baden. Keijo nickt: «Ja, das ist auch meine schönste Erinnerung an die Sommer meiner Kindheit – von der Sauna in den See zu springen. » Aber es war nicht sein Alltag. Man möchte sich Keijo als Kind vorstellen in den wilden Wäldern Lapplands, wo er heutzutage oft unterwegs ist. Die Realität präsentiert sich nüchterner: Keijo ist in Helsinki gross geworden, in einem Mehrfamilienhaus mit elektrischer Sauna nach Wochenplan. Trotzdem erinnert er sich gerne daran: «Wir haben als Familie viel in der Sauna besprochen oder Pläne geschmiedet.» Ursprünglich sei die Sauna in Finnland «ein Ort der Stille» gewesen, das habe sich gewandelt. Heute bezeichnet er es als «geselliges Schweigen».
Keijo, man hört immer wieder, dass in der Sauna wichtige geschäftliche oder politische Entscheide fallen. Was ist da dran?
«Sehr viel. Die heissesten Stellen in den Krisengebieten der Welt seit 1950 seien die Saunas der finnischen Friedenstruppen, sagt man. Eine Sauna ist ein hervorragender Ort für Diplomatie und Demokratie.»
Weshalb?
«In der Sauna sind alle nackt und alle gleich. Vor der Saunatür legt man sämtliche Funktionen ab und begibt sich in die entspannende Wärme. Von da an sprechen Menschen, keine Titel. Saunadiplomatie hat eine lange Tradition. Als Beispiel nennt er die Saunagesellschaft der Botschaft von Finnland in Washington, wo sich wichtige Menschen aus Politik, Wirtschaft und Medien regelmässig treffen, um neuste Meldungen und Themen zu diskutieren und sich dabei zu erholen. Gleichzeitig ist die Sauna ein Symbol für Grenzen, die es zu überschreiten gilt.»
Früher wurde in der Sauna geboren und gestorben, man pflegte die Kranken und heilte sie mit magischen Beschwörungen, umsorgte die Neugeborenen, bereitete Bräute auf die Hochzeit vor und begleitete Sterbende auf ihrer letzten Reise. Bis heute markiert die Sauna wichtige Übergänge: nach der offiziellen Schulzeit, vor der Hochzeit, vor einem Stellenantritt, vor der Auslandreise. An Silvester dient die Sauna dazu, sich von allem Negativen des vergangenen Jahres zu reinigen. Dazu kommt die Festsauna an Geburtstagen, am Mittsommerfest Juhannus und an Weihnachten. Man munkelt, sogar der Joulupukki, der finnische Weihnachtsmann, genehmige sich wie die ganze Bevölkerung zwischen Friedhofbesuch und Bescherung einen Saunagang.
Was ist das Besondere an der finnischen Sauna?
«Der Dampf! Der Wechsel zwischen Luftfeuchtigkeit und Wärme.»
Und was hat es damit auf sich?
«Der Aufguss, auf Finnisch ‹löyly›, ist das Herzstück der finnischen Sauna. Damit regelt man das Verhältnis von Wärme und Feuchtigkeit. Löyly stammt aus dem Finnisch-Ugrischen und ist ein uraltes Wort. Es heisst Dampf und Seele. Der aufsteigende Dampf ist heiss und beisst, legt sich aber schnell, und dann möchte man noch mehr Aufgüsse.»
Gibt es den perfekten ‹löyly›?
«Ja, wenn er mild und wohltuend ist und es sich so anfühlt, als hätte ein Engel dich umarmt.» Die zweite finnische Spezialität ist «Vihtominen» – das leichte Schlagen und Klopfen mit Birkenzweigen auf der Haut. An Juhannus schneidet man die Zweige dafür frisch, unter dem Jahr greift man auf getrocknete Exemplare zurück. Geschlagen wird vom Haaransatz bis zu den Zehenspitzen – früher tat man es, um Krankheiten aus dem Körper zu vertreiben. Heute sollen die Birkenblätter vor allem neue Energie spenden, wie genau man das macht, ist in typischer finnischer Saunamanier allen selber überlassen. Obwohl es also kaum Regeln gibt, halten die meisten Finninnen und Finnen gerne an ihren Traditionen fest. Auch Keijo. Neulich hat er in Deutschland eine Sauna besucht, und die Erinnerungen daran sorgen bei ihm bis heute für Kopfschütteln. «Es gab eine Stoppuhr für die einzelnen Gänge, die Temperatur betrug nur 60 Grad, nach jedem Aufguss wedelten die Leute den Dampf mit ihrem Tuch weg und nach der Sauna gingen alle in den Ruheraum. Wieso nicht in die Natur?», fragt er verwundert. Sein Ding sei das nicht. Lieber setze er sich in eine urige Rauchsauna, wo der Rauch nicht durch den Kamin aufsteigt, sondern die ganze Sauna einhüllt. «Danach fühlst du dich unbeschreiblich gut.» Das sei auch nach der Eislochsauna so, fügt er an: «Der grosse Temperaturunterschied killt deine Stresshormone und lässt den Blutdruck sinken. Wer es regelmässig tut, kann sich über eine elastische Haut und ein starkes Immunsystem freuen.»
«Für Finninnen und Finnen ist die Sauna immer noch ein Platz, an dem man gesellig schweigen kann.»
Keijo, warum saunieren die Finninnen und Finnen nackt?
«Die Nacktheit erfüllt keinen Selbstzweck, in Finnland schätzt man sie einfach als gemütlich ein.»
Gehen Frauen und Männer immer getrennt in die Sauna?
«Früher saunierten alle zusammen. Heute ist die getrennte Sauna üblicher, ausser in der Familie oder unter engen Freunden.»
Wie romantisch ist die Sauna?
«Sie kann unter Umständen romantisch sein, hat aber nichts mit Sex zu tun. Schon der italienische Forscher Giuseppe Acerbi wunderte sich während seiner Lapplandreise im Jahre 1799 über den Umstand, dass Männer und Frauen, selbst wenn sie zusammen badeten, ‹nicht das geringste sexuelle› Interesse aneinander zeigten. Bis heute ist die Sauna ein keuscher Ort.» Keusch ist die Sauna geblieben, hingegen haben sich die Mythen früherer Jahre gelegt. Damals war man sich sicher, dass der Saunaschutzgeist vor Feuer beschützt. Allerdings nur, wenn man den langbärtigen, einäugigen Greis nicht mit lauten Worten oder gar Flüchen verärgerte. Ganz verschwunden ist der Saunageist nie – man kann ihn in Form von Beton oder Gips selbst in modernen Saunas entdecken.
In der Sauna am See sehe ich keinen. An unserem Gelächter und aufgeregtem Geplauder hätte er ohnehin keine Freude gehabt. Nachdem eine um die andere Frau mit roten Wangen und strahlenden Augen vom Eisloch zurückgekommen war, gebe ich mir einen Ruck, stehe auf, schnappe das Tuch. Draussen atme ich kurz aus, dann marschiere ich los, Meter um Meter Richtung Steg, Richtung Wasser. Die Leiter ist frostig kalt, der erste Schritt ins Eiswasser ein Schock. Tief ausatmen, bis zu den Schultern ins eisige Nass tauchen und dann schnell die Leiter hoch, über den Steg und den Schnee zurück zum Feuer, zum Dampf, in die Wärme. Es kribbelt im ganzen Körper, als der Dampf die eisigen Punkte auffüllt; ein wahrer Energieschub erfasst mich und gleichzeitig eine unbeschreiblich, wohlige Wärme, und in diesem Moment fallen mir Keijos Worte wieder ein: «Wie ein Engel, der dich umarmt.»
Sauna - Wellness auf Finnisch
Warum zieht es die Menschen in Finnland mindestens einmal in der Woche in die Sauna? Wie fördert der Saunagang die Diplomatie? Und ist Finnland wirklich Geburtsort der Sauna? Der Finne Keijo Taskinen hat Wissenswertes, Historisches, Skurriles und ganz Praktisches aus der finnischen Saunakultur zusammengetragen. Stilvoll designt, mit zahlreichen Abbildungen.
ISBN-10: 9525969029