Spitzbergen

Krimi im Packeis

Mitten im Packeis bei Spitzbergen in der Arktis. Ein Eisbär schwimmt neben der MS Hondius. Hinter dem Expeditionsschiff liegt eine Robbe auf der Eisscholle. Der Eisbär wittert seine Chance. An der Reling hält Madeleine Mathis zusammen mit 140 Kontiki-Gästen den Atem an.

Aufgezeichnet von Franziska Hidber

Veröffentlicht: 2025

«Schon am Vorabend war die Spannung an Bord der MS Hondius spürbar. Es knisterte richtig in der Luft. Etwa um Mitternacht würden wir das Packeis erreichen. An Schlaf war nicht zu denken, ich wollte diesen Moment unbedingt erleben und blieb mit einigen anderen Gästen auf dem Panoramadeck in dieser hellen Sommernacht. Und dann war es soweit – wir erspähten die ersten Eisschollen. Nur widerwillig lösten wir uns von diesem Anblick, um noch eine Mütze voll Schlaf zu bekommen, bevor wir den ganzen Tag im Packeis verbringen und vielleicht Eisbären sehen würden.

Madeleine Mathis

Project Manager Marketing

Madeleine entdeckte ihre Leidenschaft für den Norden, als sie mit der Pfadi im Sommer nach Finnland reiste. Seither kehrt sie immer wieder zurück, sei es im finnischen Indian Summer «RUSKA» oder im tiefverschneiten Winter – beides Jahreszeiten, die sie mit Nordlichtern verzaubern. Das wildromantische Schottland, überwältigende Island und tierreiche Spitzbergen haben es ihr ebenfalls angetan.

Nach einer kurzen Nacht fanden wir uns am nächsten Morgen früh mitten im Packeis unter einem blauen Himmel wieder. Die Sonne schien, es herrschte Bilderbuchwetter und eine magische Stille, die ich nie mehr vergessen werde. Zu hören war nur das Knacken und Knirschen des Eises, wenn die Schollen vom Schiffspflug zur Seite geschoben wurden: klack, klack, klack. Dadurch wurden die Fische aufgeschreckt. Manche sprangen in die Höhe, und lockten so die Möwen an, die kreischend den Bug umkreisten.

«Eis auf dem Aussendeck!»

Kein Eisbär weit und breit

Immer wieder suchten wir den Horizont nach dem König der Arktis ab, doch er liess sich nicht blicken. Dabei ist das Packeis sein bevorzugtes Jagdgebiet, wie wir vom Expeditionsteam erfahren hatten. Im Wasser hat der Eisbär kaum eine Chance, die blitzschnellen Robben zu erwischen. Sie schwimmen ihm mühelos davon. Ruhen sich die Robben aber auf dem Eis aus, gelingt es ihm eher, die begehrte Beute zu schnappen.

Als wir durchs Packeis glitten, stieg die Aufregung. Ich liess meinen Feldstecher kaum aus den Händen. Aber: kein Eisbär weit und breit. Mit der Zeit machte sich der kühle Wind bemerkbar, er frass sich in die Wangen, die Beine fühlten sich kalt an. Genau in dem Moment kam eine Durchsage: «Eis auf dem Aussendeck!» Passend zu unserem Packeistag gab es Vanilleglace. Selten hat ein Zvieri so gut geschmeckt!

Dieser Moment hätte nur noch durch einen Eisbären getoppt werden können. Aber so sehr wir auch die Hälse verrenkten, es war und war keiner zu sehen. Stunde um Stunde verging. Mussten wir nun die Hoffnung begraben? Auch beim Expeditionsteam machte sich langsam Nervosität breit, denn bereits war es Zeit für das Abendessen.

Da schwimmt «etwas» ...

Kaum sassen wir vor unserem Menü, geschah es. «Schau mal, das sieht aus wie ein schwimmender Eisbär», sagte ein Gast während des Essens zu seiner Mutter, und deutete aufs Meer. Jemand vom Expeditionsteam hörte es zufällig auf und ging nachsehen. Was da schwamm, sah nicht nur aus wie ein Eisbär – es w a r einer. Alarm!

Wir liessen Gabeln und Messer fallen und eilten so schnell und so leise wie möglich hinaus, um das Wildtier nicht zu vertreiben. Und da sah ich ihn ganz deutlich durch den Feldstecher, wie er zwischen dem Eis im Polarmeer schwamm, auf- und wieder untertauchte. Niemand von uns sagte ein Wort, allein das Klicken der Fotoapparate war zu vernehmen. Der König der Arktis ignorierte uns. Er hatte etwas viel Interessanteres im Visier: Hinter der MS Hondius lag eine Robbe auf der Eisscholle.

Wir wagten kaum zu atmen. Der Eisbär legte an Tempo zu, tauchte wieder ab, tauchte auf, näherte sich zügig von hinten der ahnungslosen Robbe. Würden wir demnächst sehen, wie er sie erlegte, zerlegte, frass? Ich fühlte mich wie in einem Krimi. In letzter Minute öffnete die Robbe ihre Augen, rettete sich flink ins Wasser und entkam. Man konnte das Aufatmen regelrecht hören – der Eisbär würde sich ein anderes Abendessen erjagen müssen.

«Wir wagten kaum zu atmen.»

Alarm im Halbstundentakt

Als wir uns wieder an den Tisch gesetzt hatten, knisterte es erneut im Lautsprecher. «Eisbär zu sehen!», verkündete eine aufgeregte Stimme. So ging es an diesem Abend im Halbstundentakt, ein Eisbäralarm folgte auf den anderen. Wir beobachteten einen Eisbären, wie er sich genüsslich auf dem Rücken im Schnee wälzte und uns danach unfein sein Hinterteil zuwandte. Zwei andere, wie sie gemütlich übers Eis spazierten. Elektrisiert und ungläubig gaben wir uns dem Schauspiel dieser majestätischen Tiere hin: War das alles wirklich wahr, nachdem wir heute Nachmittag schon nicht mehr daran geglaubt hatten, den König der Arktis je zu Gesicht zu bekommen? Es kam uns vor wie ein Traum.

Irgendwann verschwand auch der letzte Eisbär aus unserem Blickfeld. Die Audienz war beendet, auch die Robbe tauchte nicht mehr auf. Wir liessen Fotoapparate und Feldstecher sinken. Klack, klack, klack. Unermüdlich schob der Schiffspflug das Eis zur Seite. Fische sprangen, Möwen schrien, die Sonne erhellte die Nacht, das Eis glitzerte. Erfüllt und gleichzeitig aufgekratzt kehrte ich in meine Kabine zurück. Das Adrenalin pulsierte in den Adern, mein Herz schlug noch immer heftig und löste eine Million Glücksgefühle aus.»


Madeleine Mathis über...

... ihr grösstes Vorurteil

Ich erwartete viel Nichtstun und «Herumsitzen», dabei erlebten wir aktive und abwechslungsreiche Tage mit einmaligen Höhepunkten und kurze, helle Nächte.

... ihren wichtigsten Gegenstand

Ganz klar mein Feldstecher: Ich konnte damit auch Tiere in grosser Entfernung deutlich sehen.

... einen unvergesslichen Moment

Davon gab es viele. Als besonders magisch erlebte ich den Tag im Packeis. Dieses Erlebnis kann ich kaum in Worte fassen. Oder als wir zwei Blauwale beobachteten, wie sie sich mit erstaunlicher Eleganz im Wasser bewegten und uns mit ihren Fontänen verzauberten.

... die Atmosphäre an Bord

Mir gefiel die ungezwungene Stimmung – es war leicht, mit anderen Gästen in Kontakt zu kommen. Seit dem Treffpunkt am Flughafen Zürich waren wir gemeinsam als Gruppe unterwegs.

... das Expeditionsteam

Egal, ob ich eine Frage zu Walrossen, zur Fauna oder zum Gletscher hatte: Jemand vom Expeditionsteam konnte sie zuverlässig beantworten, das schätzte ich sehr.

... die Freiheit in der Gruppe

Das Tagesprogramm war fix, und trotzdem gab es Spielraum: Vortrag über Fauna oder doch lieber Powernap? Schwimmen im kalten Wasser oder zuschauen? Leichte oder anspruchsvolle Wanderung? – So konnten alle ihre Reise ein Stück weit nach eigenem Gusto mitgestalten.

... das perfekte Alter für eine Expedition

... gibt es nicht. In unserer Gruppe war jedes Alter vertreten, vom 16-jährigen Teenager bis zu Grosseltern. Mein Tipp: nicht auf die Zeit nach der Pensionierung warten.

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