Mystische Landschaften, bodenständige Menschen, mächtige Burgen: Schottland erfüllt seine Klischees. Man reist hier inmitten von Kulissen, die deshalb begeistern, weil sie echt sind. Film ab!
Christoph Zurfluh
Freier JournalistSchon als Teenager bereiste Christoph Zurfluh per Interrail Skandinavien. Später führte ihn seine Arbeit für Kontiki immer wieder dorthin. Die Liebe zum hohen Norden teilen auch seine beiden Kinder.
«Ladies and Gentlemen, wir haben hier drei Notausgänge.» Allan schaut ernst in die Runde. «Sie springen entweder links, rechts oder hinten zum Boot raus.» Mit einer ausladenden Armbewegung deutet er die vermeintlichen Fluchtwege an. «Aber keine Panik. Im Notfall halten Sie sich an mich: Wenn ich laut schreiend aus der Führerkabine stürze und eine Schwimmweste anziehe, tun sie einfach dasselbe.» Seine Augen werden zu Schlitzen, seine Mundwinkel wandern fast bis zu den Ohren. «Alles klar?»
Allan steuert das Ausflugsboot «Bella Jane» vom Flecken Elgol im Süden der Insel Skye zur Seelöwenkolonie auf der nahen Insel Soay. Noch bevor er loslegt, hat er die Herzen der Passagiere erobert und straft Allan Brown, den bekanntesten schottischen Kolumnisten, Lügen. Der behauptet nämlich, Miesepetrigkeit sei der nationale Defekt seiner Landsleute. Einen durchschnittlichen Schotten, so Brown, drückten beide Schuhe und er sei durchaus in der Lage, allein in einem leeren Raum einen Streit anzufangen.
Ein Instrument wie eine Waffe
Unsinn! Mag sein, dass Überschwänglichkeit nicht typisch für den schottischen Nationalcharakter ist. Herz- und Humorlosigkeit wird man ihm allerdings auch nicht nachsagen können. Schotten sind einfach ein bisschen anders. Denn, mal ehrlich, in welchem europäischen Land tragen Männer Röcke? Und wie um alles in der Welt kann man einen Blasebalg zum Nationalinstrument machen, das sich dazu eignen würde, Feinde in die Flucht zu schlagen? Anders präsentiert sich auch ihr Land, das gleichzeitig atemberaubend schön, mystisch, mitunter etwas unheimlich und jederzeit für eine Überraschung gut ist. Kein Wunder, fühlt man sich im Hohen Norden Grossbritanniens oft wie im Film, lässt die Szenerie an sich vorbeiziehen und kommt sich wie ein Zuschauer vor. Bis man erstaunt feststellt, dass all dies echt ist. Auf Skye, von wo aus die «Bella Jane» mit einem Dutzend Passagieren eben in die aufgewühlte See sticht, wurden unter anderem Teile von «Highlander» gedreht. Wobei letzterer natürlich standesgemäss im meist fotografierten und gefilmten Schloss Schottlands residierte: dem Eilean Donan Castle an der A87 auf dem Weg nach Skye. Die Dichte an Schauplätzen erfolgreicher Kinofilme von James Bond bis Rob Roy ist mittlerweile so hoch, dass Schottland selbst durchaus reif für den Oscar wäre und «SetJetting», das Reisen von Filmschauplatz zu Filmschauplatz, keineswegs ein exotisches Vergnügen, sondern ein touristisches Standardarrangement ist. Das braucht man allerdings nicht extra zu buchen, denn an den schönsten Drehorten führt ohnehin kein Weg vorbei!
Harry Potter lässt grüssen
Eine halbe Stunde dauert die Überfahrt mit der Fähre von Armadale im Süden von Skye nach Mallaig an der Westküste. Fischkutter liegen im Hafen vor Anker, auf der kleinen Shoppingmeile herrscht reges Treiben, und im Bahnhof dampft der «Hogwarts Express» vor sich hin. Der Nostalgiezug war es, der Harry Potter einst ins Zauberinternat brachte. Heute verzaubert er täglich Touristen, die mit ihm von Fort William nach Mallaig und zurück zuckeln und sich dabei fühlen dürfen wie seinerzeit Lords und Ladies unterwegs zum Pferderennen in Werweisswo. Schmuck- und Vorzeigestück an der Strecke, die mitten durch die Highlands führt, ist das Glenfinnan-Viadukt, das vor imposanter Bergkulisse einen anmutigen Bogen schlägt.
Doch nicht nur wegen Harry Potter finden sich rund um Fort William unzählige Pilgerorte für Cineasten. Im Schatten des Ben Nevis etwa, der höchsten Erhebung des Landes, wurde mit «Braveheart» der schottische Nationalfilm schlechthin gedreht. Mel Gibson ist es zu verdanken, dass der mittelalterliche Haudegen William Wallace heute wieder glühend verehrt wird. Dem Rest der Welt werden aber vor allem die unbeschreiblich schönen Landschaften in Erinnerung bleiben. Hier präsentieren sich die Highlands in Höchstform: Sattgrüne Weiden, auf denen sich weisse Wollknäuel tummeln. Mystische Seen, deren schwarze Wasseroberfläche so manches Ungeheuer zu verbergen scheint. Märchenhafte Wälder, in denen man sich verlieren möchte. Und natürlich jene verschlafenen Dörfer und einsamen Höfe, die in keiner Rosamunde Pilcher-Schmonzette fehlen dürfen.
Was für ein herrliches Hundeleben!
Einen solchen Hof bewirtschaftet der 38-jährige Neil Ross in Kincraig, zwei Autostunden von Fort William und dem sagenumwobenen Loch Ness entfernt. Auf der 5000 Hektar grossen Farm tummeln sich 2500 Schafe und 18 Border-Collies. Das wäre an sich nichts Aussergewöhnliches, hätte es der findige Neil nicht zu einiger Berühmtheit gebracht. Er gilt als einer der besten Schäferhundezüchter der Highlands, und seine 45-minütige Sheep Dog Show ist so einzigartig, dass er während der Sommersaison täglich zwei Vorstellungen gibt. Wie er es schafft, dass seine Hunde allein auf Pfiffe die richtigen Schafe zusammentreiben, aussortieren und an den gewünschten Ort bringen, bleibt dem staunenden Betrachter allerdings auch nach der Show ein Rätsel. «Ein Hund», sagt Neil, «ist nun mal so gut wie drei Männer.» Das wiederum leuchtet ein.
«Gothic» nennt man das Gefühl
Auf etwas andere Art und Weise rätselhaft geht es weiter südlich, nur wenige Kilometer ausserhalb Edinburghs zu. Wer den un - scheinbaren Flecken Roslin erstmal auf verschlungenen Pfaden erreicht hat, wird sich der schauerlichen Faszination der Rosslyn Chapel nicht nur deshalb kaum entziehen können, weil sie Schauplatz des Showdowns zu «Da Vinci Code» war. Unheimlich präsentieren sich die bedeutungsschwangeren Steinmetzarbeiten, deren Bedeutungen noch nicht vollständig geklärt sind.
«Gothic» nennen die Briten dieses Empfinden zwischen geheimnisvoll und Traumziel für «Set-Jetter»: Schottland ist nicht von ungfähr Schauplatz unzähliger Filmproduktionen. gruselig. Und genau so fühlt es sich auch an: irgendwie «gothic». Um dies zu erleben, muss man allerdings nicht unbedingt nach Roslin reisen. Schottland ist voll von Schauplätzen der gruftigen Art: mächtige Burgen, verfallene Kirchen, geschichtsträchtige Schlösser. Ein bisschen Fantasie, und man ist mitten drin. Im Film.
Ein munteres Auf und Ab
Höchste Zeit aufzutauchen. Skipper Allan, der sein sonniges Gemüt auch bei Wind und Wetter nicht verliert, hält Kurs auf Skye. Es ist ein munteres Auf und Ab, und die Passagiere klammern sich an der Reling fest, um die Haltung zu bewahren. «Wisst ihr was?», verkündet Allan. «Dort, wo ich herkomme, nennt man so was ruhige See.» Dann grinst er breit und steuert seine «Bella Jane» nach erfolgreicher Mission zur Seelöweninsel wieder in den Hafen von Elgol, jene kleine, heile Welt, aus der schottische Klischees gemacht werden.