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Inselhüpfen à la Wikinger

Die Männer auf den Shetland-Inseln nördlich von Schottland lassen sich gerade wieder ihre Bärte wachsen. Doch dazu später mehr. Erst reisen wir gedanklich nach Lindisfarne, einer kleinen Insel mit Kloster vor der englischen Westküste. Auf dem Kalender steht das Jahr 793 nach Christus. Es ist ein beschauliches Leben, das die Mönche auf Lindisfarne führen: Beten und arbeiten, arbeiten und beten.

Bis eines Tages ein Schiff mit Drachenkopf aus dem Nichts auftaucht. Ihm entsteigen grobe Gesellen; sie stürmen das Kloster, fegen wie ein Tornado über die Gemeinschaft; plündern, schlagen, nehmen Mönche als Sklaven, um sie später zu verkaufen. Damit wirft das Wikingerzeitalter seine Schatten voraus.

Nomen est Omen: «Wikinger» leitet sich vom altnordischen Verb «víkingr» ab – was so viel heisst wie rauben, plündern oder auf Beutezug sein. Doch das ist zu kurz gegriffen. Denn die Nordmänner waren auch aussergewöhnlich begabte Schiffsbauer: Ihre konkurrenzlosen Langschiffe erreichten ein Tempo von bis zu 12 Knoten (zum Vergleich: ein Schiff auf der Hurtigrute fährt durchschnittlich mit 15 Knoten) – und dies selbst mit 240 Mann an Bord plus schweren Lasten.

Damit beherrschten die Wikinger die Meere wie niemand sonst. Vom norwegischen Bergen aus stachen sie in den Nordatlantik und annektierten alsbald sämtliche Inseln: Shetland und Orkney, die beiden Archipele nördlich von Schottland. Plus die Färöer, Island, Grönland bis hin zu Neufundland. Ob sie die raue Schönheit der nordatlantischen Perlen mit ihren steilen Klippen und moosgrünen Hügeln erfasst haben? Darauf gibt es keine Antwort.

Sicher ist: Als gewiefte Geschäftsleute realisierten die Wikinger den Nutzen dieser Stützpunkte auf ihrer nördlichen Handelsroute. Südwärts hatten sie Irland, weite Teile Schottlands und Britannien im Griff, den Norden Frankreichs (der Name Normandie verweist auf die Normannen) und den nördlichen Teil Deutschlands.

Ihre Fahrten führten die Nordmänner über russische Flüsse und das Kaspische Meer bis nach Bagdad, nordwärts übers offene Meer nach Island und via Gibraltar in den Mittelmeerraum nach Italien und bis nach Marokko. Mit Seide aus Persien, Münzen aus dem Mittleren Osten, Gold und wertvollen Steinen kehrten sie in ihre neue Heimat zurück.

Denn inzwischen hatten sich die meisten Wikinger an ihren eroberten Orten niedergelassen – auf den kargen Shetland-Inseln und den fruchtbaren Orkneys, wo sie die Landwirtschaft zum Blühen brachten, auf Island, den Färöern, selbst auf Grönland. Sie prägten mit ihren Langhäusern, ihrer Sprache, dem Handwerk und ihrer Kultur die Landschaft und die Menschen.

Das ist bis heute spür- und sichtbar. So lassen etwa die Shetland-Inseln immer am letzten Dienstag im Januar mit dem Fest Up Helly Aa die Wikingerzeit aufl eben. Gefeiert wird wild und laut, es wird üppig gegessen, grosszügig getrunken und endlos gesungen. Am Fackelumzug tragen schon die Jüngsten ein Wikingerkostüm – und die Männer lange Bärte.

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