Steile Berge, tiefe Fjorde: Die Lyngenhalbinsel zählt zu den spektakulärsten Regionen Nordnorwegens. An ihrem nordwestlichen Ende betört die Ferienoase XLyngen mit familiärer Gastfreundschaft und aufregenden Touren in die wilde Natur.
Veröffentlicht: 2018
Franziska Hidber
Redaktorin Nordland-MagazinDer Norden hat das Herz von Franziska Hidber, Redaktorin und Reporterin des Nordland-Magazins, im Sturm erobert. Über dem Polarkreis fühlt sich die «Lapinhulla» (Lapplandverrückte) schon wie daheim.
Es knirscht. Es knackt. Es fühlt sich insgesamt an, als würde man über rohe Eier balancieren. Aber plötzlich geht es ganz leicht, die Schritte über das blanke Eis werden sicherer, leichter. Miriam Johansen schiebt eine blonde Strähne unter ihre Mütze und lacht: «Bald werdet ihr vergessen, dass ihr Spikes tragt.» Miriam ist Gastgeberin und Guide in Personalunion. Gemeinsam mit ihrer Schwägerin Laila Westby begleitet sie die Fotografin Indra Joshi und mich sowie eine Gruppe Studienfreunde aus Deutschland auf die Wanderung nach Lyngstuva, den nördlichsten Ort der Lyngenhalbinsel und bekannt für seinen Panoramablick. Vorgesehen war eine Schneeschuhtour. Aber die Natur hatte – wie so oft hier oben in Nord-Lenangen am 69. nördlichen Breitengrad – andere Pläne: Vor Wochen regnete es kräftig in den Schnee, dann kamen die Minustemperaturen und mit ihnen die Eisflächen. Und so wird aus der Schneeschuhtour eine Spikes-Tour. Für Laila kein Problem: «Das Eis ist auch reizvoll, glaubt mir.»
Stimmt. Schon bald marschieren wir zügig dem Fjord entlang, immer im Schutz der mächtigen, zum Teil über 1000 Meter hohen Bergflanken des Gebirgszugs – er ist rund 100 Kilometer lang und zählt 140 Gletscher. Und er beginnt hier, ganz im Nordwesten. Tosend schlagen die Wellen ans Ufer, ein Seeadler kreist direkt über unseren Köpfen, Möwen schreien. Bald geht es über einen Trampelpfad, links und rechts gucken bereits Heidelbeerstauden hervor, unter Eisflächen leuchtet das Moos, dazwischen durchbricht Wollgras das Eis, kleine, krumme Birken wachsen in die Höhe. Am Morgen waren rosa Wolken über den Himmel gezogen, zarte, liebliche Schleier, nun wird das Licht hinter der Krete heller und heller und lässt die Sonne erahnen. «Da, schaut!», ruft Miriam und zeigt Richtung Wasser. Tatsächlich. Was nah am Ufer wie eine Welle aussieht, entpuppt sich als zwei Otter. Die beiden tauchen auf und unter, vertieft in ihr neckisches Spiel, und scheinen sich überhaupt nicht an uns Spikes-Wanderern zu stören. Und plötzlich hat der Fjord sie wieder verschluckt.
Ihre Spuren finden wir später im Schnee, auch jene von Schneehühnern und Hermelins. Wir entdecken Hüllen von Seeigeln, Kot von einem Elch, von denen es hier zahlreiche gibt; dafür kommen die Rentiere erst im Frühling wieder zum Weiden.
Erfrischung direkt ab Quelle
An einem sprudelnden Bach füllen wir unsere Flaschen auf: «Sauberes Quellwasser», sagt Laila, «das beste Getränk, das ich kenne.» Kalt ist es, erfrischend und pur. Nun geht der Pfad leicht bergan, wir amüsieren uns über die Berge, von denen einer aussieht wie ein König, und gleich daneben orten wir die Königin, wir schauen übers Wasser und erspähen die offene Nordsee. Miriam und Laila, die beide in der Region aufgewachsen sind und eine Ausbildung als Guide absolviert haben, kennen hier jede Abzweigung, jeden Hügel und jede Geschichte.
Sie zeigen uns Steinmauern, die einst für Schafweiden dienten; ein zerschelltes Boot, das seit seiner unglücklichen Strandung vor langer Zeit am Ufer liegt; eine Felshöhle, die den Sami, den Ureinwohnern Lapplands, als Unterschlupf diente. Und die Kerben im Gras, wo früher das Walfleisch in riesigen Wannen gekocht und das Fett gewonnen wurde.
Wir erklimmen einen steilen Hügel, die Spikes bohren sich in den eisigen Schnee. Gerade als wir den Platz mit dem Steinrondell erreichen, hat die Sonne ihren grossen Auftritt. Zentimeter um Zentimeter schiebt sie sich hinter der Felswand hervor, beleuchtet den Fjord, die Berge und taucht die Hochebene in ein warmes Licht.
Sommerlich schon im Februar
Laila schenkt dampfenden Kaffee und Tee aus, verteilt Brot und Schokoladenkuchen, beides selbst gebacken. Danach machen wir uns auf zum höchsten Hügel, er gibt den Blick frei auf den nördlichsten Leuchtturm Lyngstuva, auf den Hamrefjord mit den Inseln Vannøya und Reinøya bis über den Ullsfjord, den Fugløysund und Lyngen. Wie die Rücken von weissen Nilpferden scheinen die Schneeberge träg im Wasser zu treiben. Arktisch wirkt das, und gleichzeitig mediterran dank dieser Sonne, die alles überstrahlt, der tiefblauen Nordsee und den angenehmen Temperaturen um den Gefrierpunkt herum. Der Golfstrom sorgt dafür, dass sie selten tiefer fallen, und die Bergkette hält die feuchten Wolken ab. Auf dem Heimweg rutschen wir die steile Stelle im Schnee einfach auf dem Hosenboden hinunter. Und dann wandern wir direkt in den Sonnenuntergang hinein, begleitet von einem magischen rosa Streifen am Horizont und dem Rauschen des Meeres.
Als wir Nord-Lenangen wieder erreichen, hat die blaue Stunde begonnen. Hell und einladend leuchtet das Licht hinter den Fenstern. Die roten Häuschen schmiegen sich eng an die Schneeberge, die Vorderseite geht hinaus auf den Steg am LenangsstraumenFjord. Im grossen Gästehaus, einer ehemaligen Fischhalle, riecht es nach Kaffee und frischen Waffeln, später tischen Laila und Miriam fangfrischen Fisch, Garnelen, Rentierfleisch, Kartoffelstock, Karotten und Käse aus der Region auf. Wo früher Fische
«Arktisch wirkt das, und gleichzeitig mediterran.»
eingebracht und gekühlt wurden, sitzen heute Abend Gäste aus England, Deutschland und der Schweiz in der Sofaecke zusammen. «Die Fischhalle ist schon lange in Familienbesitz, wurde aber nicht mehr gebraucht», sagt Miriam und erzählt von der Zeit, als sie mit Laila Ideen wälzte, wie man die Anlage für Gäste aus aller Welt nutzen konnte. «Wir wollten diesen wunderbaren Flecken mit anderen teilen.» Sie holten ihre Ehemänner Geir-Arne und Bent-Jørand ins Boot und schufen erst einen Treffpunkt für Hobbyfischer, später die Ferienoase «XLyngen» – insgesamt fünf Rorbuer im typischen Fischerhüttenstil und zwei Appartements.
Gut versorgt dank Supermama
Noch immer kommen viele zum Fischen und zum Bootfahren hierher, aber nicht nur. Auch Schneeschuh-, Langlauf- und Skitouren, Husky-Safaris, Nordlichtwanderungen oder Snowmobil-Fahrten stehen auf dem Programm. – «Habt ihr das Dessert schon probiert?», fragt Laila. «Greift zu!» Erst, wenn alle zufrieden sind, ist sie es auch – was ihr den Namen «Supermama» einbringt. Kein Wunder, fühlen wir uns hier als Teil einer grossen Familie. Lailas und Miriams Herzblut kommt nicht nur den Gästen zugute: Die Erhaltung der Natur ist ihnen ein persönliches Anliegen. Für ihre ökologische Betriebsführung mit regionaler Küche und die naturfreundlichen Ausflüge wurden die beiden mit dem begehrten internationalen Eco-Label «Green Key» ausgezeichnet. In den nächsten Tage erhalten wir einen Einblick in ihre Welt. Wir besuchen die Garnelenfabrik Lyngen Reker auf der nahen Lenangsøyra – eine der letzten in Norwegen überhaupt, in der die Garnelen noch von Hand geschält werden, und die wichtige lokale Arbeitgeberin ist. Karin Olsen führt hier in dritter Generation das Lebenswerk ihres Grossvaters weiter: «Die Garnelen werden in der Tiefe des sauberen Lyngenfjords gefangen. Das ist das Geheimnis ihrer Qualität», erzählt sie, während Lailas Mann Geir-Arne, der Profifischer, uns Binnenländerinnen demonstriert, wie einfach das Schälen ist. «Ihr knickt hier – zack – und dann zieht ihr einfach an der Hülle. Fertig!», ruft er und steckt sich eine Garnele in den Mund. Wir kriegen das Schälen zwar nicht so elegant hin wie er, aber wir erfassen den Unterschied zu anderen Garnelen: Diese hier sind ungleich knackiger, leicht süsslich und gleichzeitig ein wenig herb. Geir-Arne nimmt gleich fünf Kesselchen davon mit – fürs Frühstücksbuffet.
Petri Heil auf dem Fjord
In einer Region, die vor allem vom Fischfang lebt, wollen auch wir – zusammen mit den englischen Gästen – unser Glück versuchen. Nach einer kurzen Wanderung dem Lenangsstraumen entlang ins Tal hinein holt uns Miriams Mann Bent-Jørand mit dem Snowmobil ab. Wir klettern auf den Transporter, lassen uns aufs Rentierfell fallen und schon rattert das Gefährt zwischen den kleinen Birken über die Taiga und dann rasant hinunter auf den gefrorenen Fjord. Es scheppert, als der Anhänger auf der Eisfläche aufschlägt – für einen Moment halten wir den Atem an. BentJørand grinst nur: «Das Eis ist mehr als einen halben Meter dick, keine Sorge.» Mitten auf dem Fjord positionieren wir uns bei den Eislöchern, werfen den Köder, warten. Warten und warten. Nichts passiert. Kein Zappeln. Warten. «Okay, wir bohren ein neues Loch», entscheidet Bent-Jørand. Schnee stiebt in alle Richtungen,
«Das Eis ist mehr als einen halben Meter dick, keine Sorge.»
als der Bohrer durchs Eis fräst, das Echo des Motors hallt von den Bergen wieder. Nur Minuten später zieht unser Guide einen riesigen Dorsch heraus und beginnt gleich mit dem Filettieren. Mit geübter Hand setzt er die Schnitte an, Blut tropft in den Schnee. Am Feuer wärmen wir uns hernach die Hände, halten Wurst und Brot in die Flammen – den Fisch wird Miriam später zum Abendessen zubereiten.
Warten aufs Grande Finale
Zart und schmackhaft schmeckt er, «unser» Fang des Tages, und trotzdem essen wir unkonzentriert. Ständig schauen wir durch die grosse Fensterfront nach draussen. «100 Prozent Chance auf Nordlichter», verkündete das Kontiki-Nordlichtbarometer – das klingt nach Grande Finale. Schon am allerersten Abend, während uns Miriam in die Kunst des Nordlichtfotografierens einweihte, liess es sich blicken. Erst zaghaft und schwach, dann immer stärker, um seinen Auftritt darauf Nacht für Nacht zu wiederholen. Heute, am letzten Abend, stapfen wir mit Miriam und der englischen Familie den Hügel hinauf, die Spikes sind längst so selbstverständlich wie Handschuhe oder Kappen geworden. Es ist wieder eine sternenklare Nacht, wir sehen die Milchstrasse, den kleinen Wagen, den Orion, wir bauen das Stativ auf und stellen die Kamera ein, und – da! Plötzlich fliesst und funkelt es einem Vulkan gleich hinter den schneeweissen Bergen hervor, lodernd und grün, flackernd und hell, nun wechselt es die Farbe, wird erst rot, dann violett, und mittendrin funkeln die Sterne. Kurz vor Mitternacht, als wir am Steg im Jacuzzi liegen, noch ganz verzaubert von der Lichtershow auf dem Hügel, kommt das Nordlicht zurück, heftiger denn je. Wie ein grüner Mantel legt es sich über XLyngen.
Am nächsten Tag packen wir, ungern. Mit der bangen Frage, wie es sein wird ohne dieses magische Licht, ohne den Blick auf die steilen Berge und den Fjord, ohne ein Frühstück mit frischem Lachs und knackigen Garnelen. Und ohne diese reizenden Gastgeberinnen. Wir sind als Gäste gekommen und gehen als Freundinnen. Supermama Laila lässt uns erst nach einem Blick in unsere Taschen ziehen: «Habt ihr genügend Brote eingepackt? Gut. Hier, nehmt noch Kuchen mit!» – Bevor wir ins Auto steigen, ziehen wir die Spikes aus.
«Hier ist alles ein wenig extremer»
Georg Sichelschmidt, Sie stammen aus Deutschland, die Lyngenhalbinsel ist Ihre Heimat geworden. Leben Sie gerne hier?
Und ob! Die Gegend ist unglaublich schön und vielfältig. Sie bietet alles auf kleinstem Raum: Berge, Fjorde, das Meer, die Nähe zu Finnland, die Kultur der Sami. Ich will nie mehr weg (lacht).
Inwiefern unterscheiden sich die Lyngenalpen von den Lofoten?
Hier ist alles ein wenig extremer. Deswegen begegnet man auch weniger Leuten, wenn man in den kleinen Vorbergen oder in den Tälern unterwegs ist.
Dafür sind die Lofoten bekannter.
Tatsächlich gelten die Lyngenalpen als Geheimtipp unter Skitourenläufern, Bergsteigern oder Hobbyfischern. Dabei kann man hier auch super entschleunigen oder leichte Wanderungen unternehmen. Und da wir uns genau unter dem Nordlichtgürtel befinden, stehen die Chancen auf Nordlichter besonders hoch. Da gibt es noch Potenzial.
Sie möchten die Region voranbringen. Keine Angst, dass sie zum Tourismus-Hotspot wird?
Nein. Die Einheimischen sind bescheiden und lieben ihre Heimat – an Massentourismus ist niemand interessiert. Wir fördern bewusst nachhaltige Angebote: Etwa kleine Gasthäuser, die mit regionalen Produkten kochen, wenig Abfall produzieren und Touren mit einheimischen Guides bieten, bei denen der Schutz von Tieren und Pflanzen vorrangig ist.
Wie sieht das konkret aus?
Unser «Local Food Guide» ist ein gutes Beispiel: Darin erfährt man, wo es Fleisch oder Käse aus lokaler Produktion oder fangfrischen Fisch zu kaufen gibt, oder welche Restaurants regionale Spezialitäten auftischen
Storyflow - Schrieb dini eigeti Gschicht!
Meli und Flo, zwei Filmemacher und Fotografen aus Aarau, haben für uns eine Woche in Nordnorwegen verbracht und dabei die Lyngenalpenregion erkundet. Ob beim Schneeschuhwandern entlang tiefblauer Fjorde, beim Huskyschlittenfahren durch verschneite Wälder oder beim magischen Tanz der Nordlichter – Lass dich mit ihnen vom Norwegische Winter in den Bann ziehen und hol Dir die Inspiration für dein nächstes Nordlandabenteuer!