Fabienne Wüthrich
JournalistinVor mehr als zehn Jahren hat Fabienne Wüthrich ihr Herz an die Färöer verloren. Inzwischen ist die Inselgruppe mitten im Nordatlantik für die Journalistin zu einer zweiten Heimat geworden – seit sie dort ein Gottenkind hat, noch mehr als zuvor.
Text & Fotos: Fabienne Wüthrich
Anklopfen? Überbewertet!
Nirgends auf den Färöern fühle ich mich so zuhause wie in Velbastaður. Meine Freundin Karin Visth und ihre Familie leben in diesem Dorf. Die Schweizerin mit norwegischen Wurzeln ist 2013 auf die Inselgruppe ausgewandert und hat inzwischen drei Kinder – ich bin Patin des Zweitgeborenen. Schaue ich Fotos meiner vergangenen Besuche an, katapultiert es mich gedanklich sofort an diesen besonderen Ort zurück. Dann habe ich den Duft des Kaffees in der Nase, den wir bei schönem Wetter draussen trinken. Früher war ich noch verdattert, als plötzlich einfach eine mir unbekannte Person in ihrem Haus stand. Auf den Färöern gibt es keine Türklingeln, zumindest habe ich noch nie welche gesehen. Angeklopft wird auch nicht, wie mir eine Einheimische einmal liebevoll erklärte.
Männer und Frauen aus Stein
Zerklüftete Hügel umgeben den kleinen Ort, der ganz im Norden der Hauptinsel Streymoy liegt. Verschiedenfarbige Häuser sind zu sehen, unter manchen Dächern hängen zur Zierde getrocknete Fische an Stangen. Das satte Grün des Grases rundet das idyllische Bild ab. Tjørnuvík besuche ich bei meinen Aufenthalten auf den Färöern fast jedes Mal. Meistens führt mich der Weg direkt an den Strand. Bei gutem Wetter sehe ich zu «Risin og Kellingin» hinüber: Beim Riesen und und dem Weib handelt es sich um zwei prägnante Steinsäulen, die frei im Meer stehen. Danach streife ich gerne durchs Dorf. Ich mag die schwarzen Häuser und die Grasdächer, die einen farblichen Kontrast bilden. Und ich freue mich jedes Mal wie ein Kind, wenn ich Männer und Frauen aus Stein finde, auf deren Körper die traditionelle färöische Tracht aufgemalt ist.
Heldenhafter Briefträger
Steil kracht der Wasserfall «Múlafossur» die Klippen hinunter ins Meer. Dahinter befindet sich Gásadalur, oberhalb davon thront der Berg «Árnafjall». Das ist wohl eines der meistfotografierten Sujets auf den Färöern. Ich verbinde damit vor allem eine Geschichte: Lange war das Dorf abgeschieden, es führte keine Strasse dorthin und es war nur zu Fuss oder per Helikopter erreichbar. Um die Post zu bringen, überquerte der Briefträger mehrmals pro Woche einen der Berge. Anfang der 2000er-Jahre wurde schliesslich ein einspuriger Tunnel gebaut. Auf der Fahrt nach Gásadalur denke ich oft an jenen Briefträger. Vor meinem inneren Auge läuft er schwitzend und keuchend den Berg hinauf, um Briefe und Pakete im isolierten Dorf abzuliefern. Kommt der Tunnel, muss ich mich darauf fokussieren, denn er löst eine gewisse Anspannung in mir aus. Eng ist er, dunkel und ständig tropft Wasser von der Decke. Fahre ich hindurch, hoffe ich, dass mir kein anderes Auto entgegenkommt, damit ich nicht in eine der Ausbuchtungen ausweichen muss. Bei guter Sicht werde ich danach mit dem Blick auf das beschauliche Dorf belohnt. Manchmal frage ich mich, mit welchen Emotionen wohl der Briefträger in Gásadalur angekommen ist...
Klein und fein
Die färöische Hauptstadt mag klein sein, hat aber grossen Charme. Ich flaniere gerne durch die engen Gassen von «Úti á Reyni». Dieser alte Teil von Tórshavn ist bezaubernd: die gepflegten schwarzen Häuser mit weissen Fenstern und natürlich darf das Gras auf den Dächern nicht fehlen. Den historischen Kern «Tinganes» muss ich ebenfalls jedes Mal sehen. Auf dem Felsvorsprung reihen sich rote Gebäude aneinander, in denen die Regierung tagt. Bei der Festung «Skansin» mit dem entzückenden Leuchtturm blicke ich jeweils ein wenig sehnsüchtig zur Nachbarinsel Nólsoy. Auch «Öström» statte ich stets einen Besuch ab. Das Geschäft bietet färöisches Handwerk an – etwa Schmuck, Kleider, Plakate, Holz- und Töpferwaren. Daneben steht die Kunstgalerie «Steinprent» mit der Werkstatt. Eine Stippvisite lohnt sich; zu sehen gibt es wunderbare Werke einheimischer Künstlerinnen und Künstler. Früher oder später lande ich dann in einem der Cafés an der beschaulichen Hafenfront.
Gesucht: Leuchtturm und Lama
Die Fahrt mit der Fähre von Tórshavn auf die gegenüberliegende Insel ist mir mittlerweile vertraut – trotzdem erlebe ich sie immer wieder neu. Gelingt es mir, einen Platz auf dem Deck zu ergattern, kann ich das Dorf mit den farbenfrohen Dächern schon von Weitem sehen. Was hebt diesen Ort von anderen ab? Der kleine Strand? Zugegebenermassen gibt es wohl Spektakulärere auf den Färöern. Die Schafe, die mich bei meinen Spaziergängen stets begleiten? Davon hat es auf meiner liebsten Inselgruppe mehr als Einwohnerinnen und Einwohner. Die Antwort hängt nicht nur mit der Umgebung zusammen: Hier fühle ich mich aufgehoben, auch wenn ich allein unterwegs bin.