Zwischen Oktober und Mai kann in Lappland Schnee liegen. Die Unterschiede sind von Monat zu Monat aber so frappant, dass der Ausdruck «Winter» dafür nicht reicht. Sami unterteilen ihn daher in fünf Jahreszeiten.
Sarah Ganzmann
JournalistinSarah Ganzmann hat im Norden verschiedene Reisearten ausprobiert: Im Kanu durch Dänemark, im Wohnwagen durch Schweden und per Roadtrip durch Island. Dabei erlebte sie Traumhaftes und Unvergessliches.
Ganz langsam werden die Tage kürzer, die Nächte länger. Vielleicht huscht schon das erste Nordlicht über den Himmel und vor den Hütten flackern Kerzen, in den Blockhäusern das Feuer im Kamin. Ende September beginnt das Warten; Warten auf das erste leise Rieseln, wenn der Schnee auf die Dächer fällt. Warten auf die Rentierwanderung über verschneite Tunturi (Hügel). Warten auf Naturspektakel und traumhafte Lichtverhältnisse.
Je nach Lage kann die erste dicke Schneeschicht schon im Oktober fallen. Bäume werden eingehüllt, gefrorene Seen zugedeckt: 100 000 Quadratkilometer Natur leuchten in Weiss. Die endlose Weite wirkt wie in Watte gepackt. Strassen verschwinden unter dem Schnee und für die Ureinwohner Lapplands bekommen Winterfahrzeuge eine lebenswichtige Bedeutung. Schneemobile bringen sie schnell zum Ziel. Oft führt der Weg im Winter über gefrorene Seen – eine direktere Verbindung als im Sommer. Auch Rentiere, die jetzt Richtung Norden wandern, können nur dank des Frosts so weite Strecken hinter sich bringen.
Weil sich der Winter in Lappland von Monat zu Monat ändert, reicht den Sami in ihrem Wortschatz eine einzige Saison nicht aus. Sie teilen den Winter in fünf Jahreszeiten: Nach dem Erstschnee folgt Kaamos.
«Das Dämmerlicht macht Kaamos für viele Kenner zur schönsten Zeit im Jahr.»
Die schönste Zeit im Jahr
Die Zeit der Polarnacht zwischen November und Dezember ist die dunkelste Jahreszeit. Die Sonne steigt nicht über den Horizont, die Temperaturen fallen tief. Wer Kaamos erlebt hat, ist allerdings überrascht, wie wunderschön und farbig sich die vermeintliche Dunkelheit präsentieren kann. Denn statt der Sonne zeigt sich oft ein Dämmerlicht am Himmel, das kein Maler dieser Welt schöner hinbekommen hätte. Rot, orange, lila – Kaamos macht für viele Kenner die dunkelste Jahreszeit zur schönsten Zeit im Jahr. Und wie hell es selbst im Dunkeln sein kann, zeigt in einer klaren Winternacht der Vollmond, wenn er im Schnee reflektiert. Als hätte jemand das Licht angeknipst. Schon zur Mittagszeit kann er über den Hügeln aufgehen: der ewige Mond, Gegenstück zur nie untergehenden Sonne im Sommer.
Glücksgefühl in endloser Weite
Zur Wintermitte von Januar bis Februar steht die Zeit still. Ruhe ist eingekehrt im hohen Norden. Wer nach draussen geht, schlingt den Schal ums Gesicht, zieht dicke Schuhe an und greift zur Wollmütze. Auf einer Schneeschuhtour zum nächsten Tunturi hört man das eigene Herz schlagen, das Keuchen, das Knirschen unter den Schuhen. Vielleicht knackt ein Tannenast unter dem Schnee oder ein Rentier gräbt ein Stück Moos aus. Dass man ganz allein unterwegs ist, gehört in Lappland in dieser Jahreszeit zum Alltag. Kein Wunder bei gerade mal zwei Einwohnern pro Quadratkilometer. «Weit und breit kein Mensch, die Tannen tief verschneit, die Luft ist klar und frisch», beschreibt Kontiki-Mitarbeiterin Nadja Hänni ihr Glücksgefühl auf Langlaufskiern (s. Interview). Die Natur hat die Kraft, alles rundherum – wenigstens für einen Moment – vergessen zu machen und Platz zu schaffen für das Wichtige.
Bald kommt der Frühling
Ab Ende Februar erwachen die Frühlingsgefühle. Die Sonne scheint länger und wärmt bereits stark. Je nach Lage und Witterung kann man ins Schwitzen kommen, sodass es beim Wintersport keine Jacke mehr benötigt. Klar, zieht es Sami und Gäste gleichermassen zwischen Februar und März ins Freie, auf Skiern oder Schneeschuhen, auf Hundeschlitten oder Schneemobilen. Der Vorteil am Spätwinter: «Die Tage sind länger, man kann auch mal später los und trotzdem eine lange Tour machen, ohne dass es früh eindunkelt», schwärmt Nadja Hänni, die schon in Lappland gewohnt und gearbeitet hat. Das macht den Vorfrühling in Lappland zur Jahreszeit der Aktiven.
Nadja Hänni vom Kontiki-Marketing war Gästebetreuerin in Äkäslompolo und ist regelmässig in Lappland aktiv unterwegs. Am liebsten auf Langlaufskiern.
«Ich habe mehrmals laut in den Wald gejubelt»
Nadja Hänni, was war Ihr Wow-Moment beim Langlaufen?
Wow-Momente erlebe ich in Lappland auf jeder Tour. Speziell geblieben ist mir, als ich während meiner Gästebetreuer-Zeit an meinem ersten freien Tag die Langlaufskier geschnappt habe. Ich war völlig allein auf der Loipe und kam in ein Runners- High. Mehrmals habe ich für mich laut in den Wald gejubelt.
Was ist beim Langlaufen in Lappland anders als in der Schweiz?
Das riesige Loipennetz ist natürlich toll, das findet man praktisch nirgends in der Schweiz. Man kann täglich eine andere Strecke laufen, Abwechslung ist garantiert, auch wenn man eine ganze Woche dort ist. Aber am schönsten finde ich die Ruhe, die unendliche Weite und verschneite Landschaft und super ist auch, dass eher wenige Leute auf den Loipen sind. Auch dass man die Möglichkeit hat, in ein Loipencafé einzukehren ist fantastisch. Und die Finnen sind meistens gemütlich unterwegs und auch mal für einen Schwatz zu haben.
Was macht einen Tag in Lappland perfekt?
Für mich startet der perfekte Tag in Lappland mit Ausschlafen, ohne den Wecker zu stellen und danach ein ausgedehntes Frühstück im Blockhaus. Natürlich laufe ich dann nicht gleich mit meinen Langlaufskiern los, sondern lese noch ein wenig, mache einen Tee für die Tour parat und stelle den Timer für die Sauna ein. Danach gehts los. Das Gefühl zu haben, einsam in dieser Natur zu sein, sich bewegen zu dürfen und lautlos über den Schnee zu gleiten, das ist schon einzigartig. Meine Gedanken sind dann frei und weit weg von allen Verpflichtungen.